Kernspin-Untersuchungen in der Nanowelt

Eine neue Form der NMR-Technik schafft die Voraussetzungen, um die Struktur winziger Proben zu untersuchen

7. Februar 2013

In die Nanowelt bieten sich nun neue Einblicke. Ein internationales Team um Forscher der Universität Stuttgart und des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart haben die Voraussetzung geschaffen, um Proteine und andere Nanostrukturen mithilfe der Kernspin-Spektroskopie zu durchleuchten. Diese Methode enthüllt die Struktur eines Materials, ließ sich auf nanoskopische Proben bislang aber nur mit immensem technischen Aufwand anwenden. Mit ihrer neuen Variante dieser Technik wollen es die Stuttgarter Physiker unter anderem ermöglichen, die Proteinfaltung oder Protein-Rezeptor-Komplexe zu beobachten. Auf diese Weise ließen sich in der Biomedizin Erkenntnisse gewinnen, die bislang keine andere Methode liefern kann.

Skizze der Nano-NMR: Das rote NV-Zentrum, das im Kohlestoffgerüst eines Diamanten eingeschlossen ist misst Kernspinsignale eines einige Kubiknanometer großen Volumens in einem Öltropfen auf der Diamantoberfläche. Das NV-Zentrum nimmt die Polarisierung der Kernspins in der Probe wahr. Daher wird es prinzipiell möglich, mit einem speziellen Messprotokoll Informationen über die Struktur der Probe zu gewinnen.

Kaum ein Blick in den Körper ist so vielsagend wie der einer Kernspin-Untersuchung. Organe und eventuelle Schäden macht die Technik detaillierter sichtbar als jede andere Technik. Auch Chemikern verrät die Kernspin-Spektroskopie, die auch Magnetresonanz- oder NMR-Spektroskopie heißt, viel über den Aufbau von Molekülen. Nun öffnen Forscher um Friedemann Reinhard, Leiter einer Arbeitsgruppe an der Universität Stuttgart, und Jörg Wrachtrup, Professor an der Universität Stuttgart und Fellow des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung mithilfe der Kernspin-Spektroskopie ein neues Fenster zur Nanowelt. Sie haben ein NMR-Signal aus einem Öltropfen aufgezeichnet, dessen Volumen gerade mal so groß ist wie ein Würfel mit fünf Nanometern Kantenlänge. Zeitgleich mit der Gruppe der Stuttgarter Physiker berichtet ein US-amerikanisches Team um IBM-Forscher über den Vorstoß in die Nano-Dimension der Kernspintechnik (10.1126/science.1231540).

Bisher ist für eine NMR-Untersuchung eine mindestens drei Mikrometer große Probe nötig. In der Medizin ist das kein Problem, und auch Chemiker finden in ihren Kolben meist ausreichende Mengen einer unbekannten Substanz, um sie mithilfe der NMR-Spektroskopie zu identifizieren. In der Biochemie verhält sich das jedoch anders. Hier wäre es oft hilfreich, ein einzelnes Protein zu untersuchen, um etwa herauszufinden, wie es gefaltet ist. Die Faltung eines Proteins ist entscheidend für die Aufgabe, die es im Körper unternimmt. Diese Strukturinformation können Biologen den Proteinen zwar mit Röntgen-Kristallografie oder herkömmlicher NMR entlocken. Beide Methoden benötigen aber zahllose identische Kopien eines Moleküls, um dessen Struktur zu bestimmen. 

Ein Stickstoffatom in einem Diamanten registriert Nano-NMR-Signale

Mindestens ebenso sehr wie für die Struktur eines Proteins, interessieren sich Biologen für seine Arbeit. Daher untersuchen sie Komplexe aus Proteinen und Rezeptoren – soweit die herkömmlichen Methoden das zulassen. NMR-Spektroskopie einzelner Komplexe würde das sehr erleichtern. Doch nicht nur Biologen würden gerne mit eine NMR-Brille auf die Nanowelt blicken, auch Materialwissenschaftler versprechen sich davon viel. Denn über die winzigen Strukturen, mit denen sie in der Nanotechnik zu tun haben, verraten ihnen herkömmliche Techniken wenig. Vor allem wie es im Inneren der Strukturen aussieht, bleibt ihnen meist verborgen. Auch hier könnte die NMR-Spektroskopie Abhilfe schaffen.

Allein, bisher scheiterten Untersuchungen von Nanoproben daran, dass es keine Detektoren für die Kernspinsignale aus Proben gibt, die gerade einmal so groß sind wie ein einzelnes Protein oder ein Protein-Rezeptor-Komplex. „Wir haben dafür einen passenden Detektor gefunden, der bei normaler Umgebungstemperatur und an der Luft funktioniert“, sagt Friedemann Reinhard. „Damit haben wir einen wichtigen Schritt getan, um NMR-Signale aus Nanoproben zu analysieren.“ Bislang ließen sich Nanoproben nur bei Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts von minus 273,16 Grad Celsius untersuchen. Außerdem war das nur mit langen Messzeiten und in einem sehr sauberen Vakuum möglich, das sich nur mit großem Aufwand erzeugen lässt.

Reinhard und seine Kollegen verwendeten als NMR-Antenne einen Diamant, in dessen Kohlenstoff-Gerüst dicht unter der Kristalloberfläche ein Stickstoffatom eingebaut ist. Die Stelle, an der das fremde Atom sitzt, nennen die Physiker NV-Zentrum: N für Stickstoff, und V für das englische vacancy, das auf eine Lücke im Kohlenstoffgitter direkt neben dem Stickstoff-Atom hinweist. Solche NV-Zentren geben manchen Schmuckdiamanten eine rote Farbe. Für die Stuttgarter Physiker ist ein NV-Zentrum interessant, weil es die Kernspins von Atomen wahrnimmt, die sich dicht über dem NV-Zentrum auf der Diamant-Oberfläche befinden.

Eine Kernspin-Untersuchung von Nanoproben braucht keine starken Magnete

Der Kernspin macht jedes Atom zu einem winzigen Stabmagneten, der wie ein torkelnder Kreisel um eine Achse rotiert. Diese Achse lässt sich mit einem äußeren Magnetfeld ausrichten, orientiert sich aber ansonsten wahllos im Raum. Wie schnell sich der Spin um die Achse dreht, hängt unter anderem von der Umgebung des Atoms ab. Diese Rotationsgeschwindigkeit oder -frequenz verrät mithin etwas über die Struktur einer Substanz.

Antennen für Kernspin-Signale: An den rot leuchtenden Punkten in den Aufnahmen eines Fluoreszenz-Mikroskops sitzen Stickstoff-Atome, die jeweils zusammen mit einer einatomigen Lücke in einem Diamant-Kristall auftreten. Diese NV-Zentren können als Magnetfeld-Sensoren dienen, da ihre Leuchtstärke etwas über magnetische Polarisierung der Kernspins in einer Probe verrät. Zum Größenvergleich ist im Hintergrund eine 1-Cent-Münze abgebildet.

Nun gibt es im menschlichen Körper oder in einer Probe für eine herkömmliche NMR-Untersuchung deutlich mehr Atome als leuchtende Sterne im Weltraum. Und selbst in dem winzigen Öltropfen, den Reinhards Team als Nanoprobe verwendete, gibt es noch etwa 10000 Wasserstoffatome. Deren Kernspins orientieren sich wild in alle möglichen Richtungen. In einem herkömmlichen NMR-Gerät bringt ein starker Magnet Ordnung in dieses Durcheinander. In einer Nanoprobe hilft dabei der Zufall. Er sorgt nämlich dafür, dass fast ständig bis zu 100 Kernspins mehr in eine Richtung als in alle anderen zeigen. Ihre kleinen Stabmagnete bilden dann einen etwas größeren – die Probe wird magnetisch polarisiert. Auch dieser größere Stabmagnet torkelt um eine Achse, und zwar mit genau derselben Rotationsgeschwindigkeit wie die Kernspins der einzelnen Atome. Die Rotationsgeschwindigkeit ist dabei unabhängig davon, wie die Achse des durch Polarisierung entstandenen Stabmagneten orientiert ist.

Wie schnell der Stabmagnet, der durch die zufällige Polarisierung in einer Probe auf der Diamantoberfläche entsteht, kreiselt, nimmt ein Stickstoff-Atom dicht darunter dank seines eigenen Spins wahr. „Anders als in einer herkömmlichen Probe, brauchen wir keine starken Magnetfelder, um ein Signal zu registrieren“, sagt Friedemann Reinhard. Das reduziert den apparativen Aufwand erheblich.

Erst ein neuer physikalischer Ansatz sensibilisiert die Kernspin-Antenne

Allerdings müssen die Stuttgarter Forscher ihren Detektor, das NV-Zentrum, für das Signal aus der Probe sensibilisieren, da es neben den Signalen aus der Probe noch alle möglichen magnetische Störgeräusche wahrnimmt. „Dafür wir müssen wir die Information der Kernspins auf eine andere Art als in der herkömmlichen NMR-Spektroskopie verarbeiten“, erklärt Friedemann Reinhard. „Bei unserer Methode handelt es sich also nicht um eine bloße Miniaturisierung des gängigen Verfahrens.“ Kern des neuen physikalischen Ansatzes ist eine ausgeklügelte Folge von Mikrowellenpulsen. Dabei variieren die Forscher die Länge der Pausen zwischen den Pulsen. Sobald die Dauer der Funkstille mit der Zeit übereinstimmt, die der Polarisierungs-Magnet in der Probe für eine halbe Rotation braucht, registriert die Kernspin-Antenne im Diamanten ein Signal.

Auch herkömmlichen NMR-Geräten in der Medizin und in den Naturwissenschaften haben Physiker zahlreiche Tricks beigebracht, um den Kernspins die gefragte Information über das Körperinnere oder die Natur einer unbekannten Substanz zu entlocken. Im Wesentlichen brauchen sie dafür raffinierte Folgen von Radiowellenpulsen und Magnetspulen. „In dem NV-Zentrum können wir die magnetische Polarisierung dank eines glücklichen Zufalls an seiner Leuchtstärke erkennen, also mit einem Mikroskop auslesen. Außerdem können wir sie mit Mikrowellen und Laserlicht manipulieren“, sagt Friedemann Reinhard. Auch dank dieser Laune der Natur lässt sich ein NMR-Gerät für Nanoproben möglicherweise mit geringerem technischen Aufwand realisieren als herkömmliche Kernspin-Apparate.

Stickstoffatome in Diamanten als Prozessor eines Quantencomputers

Doch bis eine Kernspin-Untersuchung über eine Nanoprobe ähnlich viel verrät wie über den Körper oder den Inhalt eines Chemie-Kolbens, wird noch einige Zeit vergehen. „Wir haben jetzt zunächst bewiesen, dass sich NMR-Signale aus Nanoproben detektieren lassen“, sagt Friedemann Reinhard. „Nun müssen wir daran arbeiten, aus diesen Signalen die Information über die Struktur einer Probe herauszuholen.“

Den Physiker interessiert aber noch eine ganz andere Anwendung als die Analyse von Körper oder Material: „Man kann das Protokoll, mit dem wir das NV-Zentrum sensibilisieren als Quanten-Algorithmus betrachten.“ Auch in dieser Richtung werden die Stuttgarter Physiker ihr System weiter erforschen. So könnten einzelne Stickstoff-Atome in Diamanten künftig vielleicht nicht nur als Antennen für NMR-Signale dienen, sondern auch als Prozessor eines Quanten-Computers, der Information einmal viel schneller als herkömmliche Rechner verarbeiten soll.

PH

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