Elektronen in einem flüssigen Kristall

Ladungsträger ordnen sich im Hochtemperatursupraleiter YBCO in leitenden und nicht leitenden Bereichen an

12. Februar 2008

Flüssigkristalle machen Bildschirme so flach, dass sie in Notebooks und Digitalkameras passen. Aber sie müssen auch als Modelle herhalten - dafür, wie sich Elektronen in einem Hochtemperatursupraleiter verhalten. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart haben jetzt experimentell belegt, dass dieses Modell stimmt. Eine interessante Interpretation ihrer Daten bietet sich im Rahmen des "Streifenmodels", demzufolge die Ladungsträger streifenförmige Bereiche bilden, in denen sie Strom leiten, und Bereiche, in denen sie Strom nicht leiten. Wie die Moleküle eines Flüssigkristalls können sich diese länglichen Bereiche zwar gegeneinander verschieben, ordnen sich aber bevorzugt parallel an. Für Physiker ist dieses Verhalten vor allem deswegen interessant, weil es einen Materiezustand darstellt, in dem sich Elektronen nebeneinander leitend und isolierend verhalten können. (Science, 1. Februar 2008)

Schnappschuss der magnetisch ungeordneten, leitenden Bereiche in einem elektronischen Flüssigkristall. Sie orientieren sich vorzugsweise entlang der b-Achse des Gitters. Zur Vereinfachung sind die dazwischen liegenden, antiferromagnetisch geordneten Bereiche nicht gezeigt.

Die Welt in schwarz und weiß zu malen ist einfach, trifft aber selten die Realität. So stellen sich Physiker Metalle gerne so vor, als bildeten die Strom leitenden Elektronen in ihnen einen See, in dem sie sich frei bewegen können. In einem Isolator seien alle Elektronen dagegen fixiert. Beide Modelle beschreiben manche Stoffe sehr gut. Kupfer und Silber etwa leiten gerade deshalb so gut den Strom, weil ihre Elektronen in einer Art See schwimmen, der nur mit einem Zu- und einem Abfluss versehen werden muss. Umgekehrt wirken die meisten Kunststoffe isolierend, weil alle ihre Elektronen in chemischen Bindungen fixiert sind. Viele Stoffe lassen sich aber mit keinem der beiden Modelle wirklichkeitsgetreu beschreiben - zum Beispiel der Hochtemperatursupraleiter Yttriumbariumkupferoxid, kurz YBCO.

YBCO ist eine Keramik und in verschiedenen Schichten aufgebaut, unter anderem solchen, die aus Kupfer und Sauerstoff bestehen. Strom leitet YBCO bei gewöhnlichen Temperaturen nicht so gut wie reines Kupfer, unterhalb einer bestimmten Temperatur - im besten Fall unter minus 180 Grad Celsius - verliert es jedoch jeglichen Widerstand und leitet Strom verlustfrei. Transportiert wird er sowohl oberhalb als auch unterhalb dieser Temperatur von Ladungsträgern - in YBCO sind es positiv geladene Elektronenlöcher -, die durch Schichten aus Kupfer und Sauerstoff fließen.

Die Elektronenlöcher können jedoch nicht nach Belieben durch die Schicht hüpfen. Vielmehr sind sie in manchen Bereichen der Schicht fest an Atome gebunden, in anderen sind sie dagegen beweglich, wie Vladimir Hinkov und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Zusammenarbeit mit französischen Kollegen jetzt festgestellt haben. Die Bereiche nehmen Formen an, die an Streifen erinnern. Zudem verschieben sich diese Bereiche, so dass Ladungsträger, die eben noch ungebunden waren, plötzlich an einem Ort festgehalten werden. "Wie in Flüssigkristallen haben die länglichen Bereiche jedoch keine wahllose Orientierung, sondern ordnen sich bevorzugt parallel - das ermöglicht den Ladungsträgern, sich in den leitenden Bereichen leichter zu bewegen", erklärt Vladimir Hinkov.

Die Hochtemperatursupraleitung, für die Physikern bis heute eine plausible Erklärung fehlt, können Hinkov und seine Mitarbeiter mit ihren Erkenntnissen zwar nicht erklären - sie haben den elektronischen Flüssigkristall nämlich nur bei einer Form des YBCO beobachtet, die relativ schwach, nämlich erst bei minus 238 Grad Celsius, supraleitend ist. Doch gerade weil sie den widerstandlosen Stromfluss im YBCO bislang noch nicht verstehen, freuen sich die Forscher über alle Informationen, die sie über die Elektronen in dem Material erhalten. "Vor allem wenn sie ein Phänomen betreffen, das bislang als theoretisch möglich galt, experimentell jedoch noch nicht eindeutig beobachtet wurde", sagt Hinkov.

Einen ersten Hinweis auf die eigentümlichen elektronischen Flüssigkristalle findet sich bereits bei der Messung des elektrischen Widerstands in der Kupferoxidebene entlang der senkrecht zueinander stehenden a- und b-Achsen des YBCO-Kristalls: In der einen Richtung ist er 2,5-mal so hoch wie in der anderen, was Wissenschaftler vom "Central Research Institute of Electric Power Industry" in Tokyo bereits im Jahr 2002 nachgewiesen haben. Das stützt die Vorstellung, dass sich die leitenden Bereiche bevorzugt parallel in die Richtung mit geringerem Widerstand anordnen.

Entlang der Achsen des Kristalls den Widerstand zu messen verrät aber erst einmal nur, dass sich die Ladungsträger entlang der einen Kristallachse freier bewegen können als entlang der anderen. Genaueres über ihre Anordnung im Kristall finden die Wissenschaftler mithilfe der Neutronenbeugung heraus. Sie verrät etwas über die magnetischen Eigenschaften des Materials. Diese hängen davon ab, wie sich die Spins der Elektronen anordnen, die diese zu winzigen Stabmagneten machen.

Können sich die Elektronen völlig frei bewegen, sind ihre Spins weitgehend ungeordnet und machen sich nicht bemerkbar. Sind sie jedoch an einzelnen Atomen fixiert, können sich ihre Nord- und Südpole alle in dieselbe Richtung orientieren. Physiker sprechen in diesem Fall von einem Ferromagneten. Umgangssprachlich nennt man solche Materialien magnetisch. Ist jeder magnetische Nordpol dagegen von Südpolen umgeben, heißt die Ordnung antiferromagnetisch. Beide Ordnungen liefern in der Neutronenbeugung unterschiedliche und charakteristische Spektren. Denn die Methode gibt ein Maß dafür, wie weit Elektronen mit gleich orientiertem Spin voneinander entfernt sind - mit anderen Worten, wie schnell sich das Muster der Spins wiederholt oder wie groß die Periode des Musters ist. Offensichtlich ist die Periode beim Antiferromagneten genau doppelt so groß wie beim Ferromagneten, wie Abb. 2a und b zeigen.

a) In einem Ferromagneten sind die Spins, die man sich als mikroskopische Stabmagnete vorstellen kann, parallel orientiert. b) Antiparallele Orientierung der Spins in einem Antiferromagneten c) Streifenmuster aus magnetisch ungeordneten, leitenden und antiferromagnetisch geordneten Bereichen. Die Kreise repräsentieren Ladungsträger. Die rot umrandeten Bereiche (Periode) zeigen jeweils das gleiche Muster.

Im Fall von YBCO ist die Situation in zweifacher Hinsicht komplizierter, wie die Stuttgarter Physiker nachgewiesen haben: Erstens wechseln sich in der Kupferoxid-Schicht des YBCO elektrisch leitende Bereiche ohne magnetische Ordnung mit solchen antiferromagnetischer Ordnung ab. Dadurch wird die Periode noch größer (Abb. 2c) und das spiegelt sich im Spektrum der Neutronenbeugung wider. Zweitens sind diese länglichen Bereiche in Wirklichkeit nicht so regelmäßig angeordnet wie in Abb. 2c, sondern fluktuieren (Abb. 1). Das führt zu einem charakteristischen länglichen Muster im Spektrum der Neutronenbeugung.

Im elektronischen Flüssigkristall erzeugen Spinanregungen dieses charakteristische längliche Neutronenbeugungsmuster.

Erste Hinweise auf den elektronischen Flüssigkristall erhielten die Stuttgarter Physiker für eine stark supraleitende Probe bereits vor einigen Monaten. In diesem Material waren die Fluktuationen der leitenden und antiferromagnetisch geordneten Bereiche allerdings so stark, dass die Ergebnisse nicht eindeutig waren. Nun ist ihnen der Nachweis des elektronischen Flüssigkristalls in einer Variante von YBCO gelungen, die relativ wenig Sauerstoff enthält und daher nur schwach supraleitend ist. Denn erst ein genau bemessener Überschuss an Sauerstoff stellt der Keramik die freien Ladungsträger zur Verfügung, die das Material braucht, um den Strom bei tiefen Temperaturen verlustfrei zu leiten. Ist der Kristall nicht mit zu vielen dieser Löcher durchsetzt, sammeln sie sich ebenso in Bereichen an wie die Elektronen, die dabei die nicht leitende antiferromagnetische Ordnung annehmen. "Diese Erkenntnis ist auch deshalb so überraschend, weil diese Trennung in leitende und nicht leitende Domänen spontan erfolgt, obwohl sie nicht von außen, etwa durch Anlegen eines Magnetfeldes, vorgegeben ist", sagt Hinkov.

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