Erste Messung langanhaltender magnetischer Fluktuationen in Kristallen

Deutsches Forscherteam misst erstmals Lebensdauer magnetischer Fluktuationen in einem Material mit Hilfe einer neuen Neutronenstrahltechnik

30. Juni 2006

Eines der meistbekannten magnetischen Materialien ist magnetisiertes Eisen. Viele Eigenschaften von Eisen und anderen magnetischen Stoffen lassen sich gut analysieren und mit heutigen Theorien erklären. Hingegen stieß die Untersuchung angeregter Zustände in diesen Materialien bisher an die Grenzen der vorhandenen Messtechniken. Unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Keimer, Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, hat ein Forscherteam, darunter Physiker der Technische Universität München und des Hahn-Meitner-Instituts Berlin-Wannsee, eine vor kurzem erst am Forschungsreaktor FRM II in München in Betrieb genommene Neutronentechnik verwendet, und die erste umfassende Tieftemperaturmessung der Lebensdauer niedrigenergetischer Anregungen in einem magnetischen Material durchgeführt. Die Messergebnisse sind diese Woche in "Science" veröffentlicht (Science, 30. Juni 2006). Diese Messungen sollen es ermöglichen, die Wechselwirkung von Spinwellen in magnetischen Materialien besser zu verstehen, eine auch technologisch wichtige Fragestellung.

"Momentaufnahme" einer Spinwelle im Antiferromagnet MnF2. Gezeigt wird eine Grundeinheit des MnF2-Kristalls: Die grauen Kugeln stellen Mn2+-Ionen und die grüne Kugel F--Ionen dar. Ein Spin (dicke schwarze Pfeile) wird mit jedem Mn2+-Ion assoziiert. Die Pfeile an den Ecken der Zelle zeigen in entgegen gesetzte Richtung zu den Pfeilen im Zentrum. Bei einer Spinwellenanregung kann man sich vorstellen, dass die Spins rund um den Kegel zu präzessieren beginnen (in Blau gezeigt). Im hier beschriebenen Experiment wurde die Lebensdauer lang anhaltender Spinwellen über eine große Bandbreite der Impulse gemessen.

Die Eigenschaften magnetischer Stoffe wie Eisen, auch Ferromagnete genannt, sind hinreichend bekannt. Die magnetischen Atome in solchen Materialien besitzen einen intern drehenden Impuls, den so genannten Spin, welcher von den Elektronen stammt. Diese Spins kann man sich als sehr kleine Stabmagnete vorstellen. In einem Ferromagnet zeigen alle Spins in dieselbe Richtung. Sobald ein solches Material einem Magnetfeld ausgesetzt wird, wirkt es als magnetisiertes Objekt. Eine eng verwandte Stoffklasse sind die Antiferromagneten, bei denen die Hälfte der Spins in die Gegenrichtung zeigt. Trotz gleicher Anzahl von magnetischen Momenten wie im Ferromagnet werden solche Materialien von einem Magnetfeld folglich nicht magnetisiert. Seit ihrer Entdeckung vor mehr als 70 Jahren wurden viele Antiferromagnete hergestellt. Sie haben wichtige technologische Anwendung gefunden, zum Beispiel in Computer-Hard-Disks.

MnF2, das von den Forschern untersuchte Material, ist ein Antiferromagnet. In diesem ionische Stoff hat jedes Mn2+-Ion einen Netto-Spin, der in entgegen gesetzte Richtung zu seinen Nachbar-Spins zeigt. Es ist einfach, von dieser Verbindung große, hochreine Kristalle mit fast perfekter Struktur herzustellen. Als Modellsystem in der Festkörperphysik wurden deren physikalischen Eigenschaften deshalb bereits intensiv untersucht.

Für die Untersuchung magnetischer Verbindungen sind Neutronenstrahlen besonders gut geeignet. Wie Elektronen besitzen Neutronen einen Spin. Wird nun ein magnetisches Material mit einem Neutronenstrahl bestrahlt, so wechselwirken die Spins der Neutronen mit den Spins des Materials, ähnlich wie sich zwei kleine Stabmagneten beeinflussen. Die wechselwirkenden Neutronen werden dabei abgelenkt; aus der Analyse des abgelenkten Neutronenstrahls lassen sich dann die magnetischen Eigenschaften des untersuchten Materials erklären. Hinzu kommt, dass die Neutronen tief in eine Probe eindringen, da sie von der meisten Materialien nur schwach absorbiert werden, sodass man die Technik dazu verwenden kann, um Informationen auch über physikalische Eigenschaften zu gewinnen, die sich nicht nur an der Oberfläche eines Materials widerspiegeln.

In vielen Antiferromagneten, darunter auch in MnF2, treten die Spins der magnetischen Atome stark in Wechselwirkung miteinander. In einem solchen Fall, wenn man also eine kleine Menge Energie zu diesem Materialsystem hinzufügt, wird diese nicht nur von einem einzigen Ion absorbiert, sondern über eine großes Volumen des Materials geteilt. Eine solche Anregung nennt man Spinwelle, die man auch als eine koordinierte magnetische Fluktuation betrachten kann. Um diese Phänomen zu visualisieren, kann man sich vorstellen, dass man ein Ende eines Stabmagnets an einer Kegelspitze fixiert, und dass das andere Ende beginnt, auf periodische Weise um den Kegelumfang zu kreisen. Der Vergleich mit einer Wasserwelle wird klar, wenn man sich auf einen bestimmten Punkt einer Wasseroberfläche konzentriert: Der Wasserpegel steigt dort periodisch an und ab. Im Fall der Spins ist jedoch keine räumliche Bewegung beteiligt. Wenn wir den Kristall in eine bestimmte Richtung betrachten, so würde eine Momentaufnahme der Kegelumfänge zeigen, dass jeder Stabmagnet im Vergleich zu seinem Vorgänger stärker um die Kegelachse rotiert. Im Lauf der Zeit verschiebt sich dieses Muster durch den Kristall, analog zur Ausbreitung einer Wasserwelle. Das Energie-Spektrum solcher Spinwellen kann bei vielen Materialien bereits heute mit großer Genauigkeit beschrieben werden.

Eine Spinwelle bewegt sich durch einen Festkörper, bis sie unterbrochen wird, zum Beispiel durch eine andere Spinwelle oder eine atomare Verunreinigung oder einen Kristalldefekt. Als Folge eines solchen Zusammenstosses ändern sich generell Energie und Impuls der Spinwelle. Die Lebensdauer der Spinwelle ist die durchschnittliche Zeit, die eine Spinwelle zurücklegt, bevor sie unterbrochen wird. Durch die Messung der Spinwellenlebensdauer erfährt man also mehr über die Art und Stärke der Wechselwirkungen, welche die Spinwelle erfährt. Während der vergangenen 40 Jahre hat man zahlreiche theoretische Berechnungen der Spinwellenlebensdauer durchgeführt, unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenstosses mit anderen Spinwellen. Doch bisher war es nicht möglich, diese Voraussagungen experimentell zu testen, da man mit der bisherigen Technik die Lebensdauer nicht ausreichend lang über einen breiten Bereich von Spinwellenimpulsen messen konnte. Deswegen blieb die grundsätzliche Frage, wie Spinwellen miteinander wechselwirken und ob ihre Wechselwirkungen mit den existierenden physikalischen Modellen gut beschrieben werden, unbeantwortet.

Die Max-Planck-Forscher haben nun eine neue, so genannte "Spin-Echo"-Technik eingeführt, die ein Magnetfeld verwendet, um jene Neutronen zu markieren, die auf die Probe treffen. Die Spins des einfallenden Neutronenstrahls werden gezwungen, rund um das Magnetfeld so zu präzedieren, dass das Maß ihrer Präzession von der Neutronenenergie abhängig ist. Nach der Streuung bewegen sich die Neutronen durch ein zweites Magnetfeld mit entgegen gesetzter Richtung, so dass die Präzessionsbewegung der Spins teilweise wieder rückgängig gemacht wird. Die verbleibende Nettopräzession ergibt dann die Lebensdauer einer Spinwelle.

Mit dieser Technik haben die Forscher nun die Spinwellenlebensdauer in MnF2 an ihrem gerade erst in Betrieb genommenen Neutronenspektrometer TRISP am Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München gemessen. Hierbei entdeckten sie zwei unerwartete Minima in der Spinwellenlebensdauer:. Diese Messergebnisse stellen eine große Herausforderung für die existierenden Spinwellen-Theorien dar; die hohe Auflösung der Messungen und der breite Umfang der Daten erlauben umfassende Vergleiche mit theoretischen Voraussagen. Die Spin-Echo-Technik hat damit ihr großes Potential zur Untersuchung grundlegender Fragen in der Physik magnetischer Verbindungen eindrucksvoll demonstriert. Als nächstes wollen die Forscher damit noch komplexere magnetische Materialien untersuchen.

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