Quanten-Duett mit zwei Atomen

Zwei Atome wechseln zwischen magnetischer Ordnung und nicht-magnetischem Kondo-Zustand

15. September 2011

Mit zwei Atomen inszenieren Physiker jetzt ein außergewöhnliches elektronisches Schauspiel – für das sie gewöhnlich ein viel größeres Ensemble atomarer Darsteller brauchen. Ein internationales Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart führt bei sehr tiefen Temperaturen ein Kobaltatom, das an der Spitze eines Rastertunnelmikroskops (RTM) haftet, an ein weiteres Kobaltatom auf einer Goldoberfläche. Kobaltatome besitzen magnetische Momente. Berühren sich die Atome, spüren sich die magnetischen Momente, und das atomare Duo verhält sich magnetisch. Bei einem größeren Abstand umgeben sich die magnetischen Momente mit den frei beweglichen Leitungselektronen an der Goldoberfläche und an der RTM-Spitze. Sie bilden dann ein Kondo-System, in dem sich die magnetischen Momente nicht wahrnehmen. Den Übergang von einem Zustand in den anderen in kleinstmöglicher Form zu studieren, hilft nicht nur den Magnetismus besser zu verstehen, sondern - so die Hoffnung - auch andere kollektive Phänomene wie die Hochtemperatur-Supraleitung.

Kollektive Quantenphänomene in Minimalversion: Stuttgarter Physiker untersuchen wie zwei Atome ihren elektronischen Zustand ändern, wenn ein Kobaltatom an der Spitze eines Rastertunnelmikroskops an ein zweites Kobaltatom auf einer Goldunterlage angenähert wird. Dabei wechseln die Atome vom sogenannten Kondo-Zustand, in dem der Magnetismus der Atome (blaue Pfeile) unterdrückt ist, in einen antiferromagnetischen Zustand.

Was in der Soziologie nicht weit führt, hilft Physikern sehr: Um das kollektive Verhalten von Menschenmassen zu verstehen, bringt es wenig zu beobachten, wie zwei Personen miteinander umgehen. Wenn Physiker kollektive Phänomene wie den Magnetismus besser verstehen wollen, lohnt sich der Blick auf zwei Atome dagegen sehr. Zum Beispiel auf zwei Kobaltatome. Diese besitzen ungepaarte Elektronen und tragen wegen der Eigendrehung dieser einzelnen Elektronen, von Physikern Spin genannt, magnetische Momente. „In Experimenten mit zwei einzelnen Atomen können wir kollektive elektronische Phänomene in ihrer elementarsten Form studieren“, sagt Klaus Kern, Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Genau das hat er gemeinsam mit einem Team um den Forschungsgruppenleiter Peter Wahl nun gemacht.

„Wir haben beobachtet, wie sich die elektronischen und magnetischen Eigenschaften von zwei einzelnen Kobaltatomen ändern, wenn sie sich einander nähern“, sagt Peter Wahl. Eine ausgesprochen diffizile Angelegenheit. Schließlich sind Kobaltatome so winzig, dass zwischen zwei Millimeter-Strichen eines Lineals rund sieben Millionen von ihnen Platz fänden. Also dampften die Forscher in einer Vakuumkammer zunächst ein wenig Kobalt auf eine Goldoberfläche und suchten das Gold mit der Spitze eines Rastertunnelmikroskops (RTM) anschließend nach einem günstig gelegenen einzelnen Kobaltatom ab. Das pickten sie mit der Spitze von der Oberfläche, wie man mit dem Finger einen Papierschnipsel von einem Tisch aufnimmt. Nun steuerten sie die Spitze mit dem haftenden Atom möglichst präzise über ein weiteres Kobaltteilchen. Dort senkten sie die Spitze allmählich ab und maßen für über 50 Positionen die Leitfähigkeit zwischen den beiden Atomen.

Wieviel Strom zwischen den beiden Atomen fließt, hängt entscheidend von den elektronischen und magnetischen Wechselwirkungen zwischen diesen ab. Dafür ist wiederum das komplizierte Zusammenspiel verschiedener Elektronen ausschlaggebend: jener, die in dem Metall relativ ungehindert hin und her flitzen und so den Strom transportieren, und jener Elektronen, die weniger beweglich sind und magnetische Momente tragen.

Zwei Atome ändern ihren Zustand, wenn sie sich nahe kommen

Die magnetischen Momente kann man sich als winzige Stabmagneten vorstellen. Wenn sich die Kobaltatome sehr nah kommen, richten sich diese kleinen Magnete antiparallel aus – so als würden die Stabmagneten abwechselnd mit Nord- und Südpolen nebeneinander liegen. „Die beiden Atome bilden dann die kleinstmögliche Einheit eines antiferromagnetischen Materials, dessen magnetische Momente akkurat geordnet sind, sich dabei aber gegenseitig neutralisieren“, so Peter Wahl.

Bei einem etwas größeren Abstand zwischen den Atomen spüren sich die magnetischen Momente nicht mehr so stark – so dass zumindest bei Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts von minus 273,16 Grad Celsius ein anderer elektronischer Effekt die Oberhand gewinnt: der Kondo-Effekt. Dabei umgeben sich die magnetischen Momente mit Leitungselektronen, die aus der Gold-Unterlage, der RTM-Spitze und den Kobaltatomen selbst stammen. Die agilen Leitungselektronen hüllen das ganze System wie eine Art Gas ein. Wo sie ursprünglich herkommen, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Beim Kondo-Effekt verdichten sich einige von ihnen als kleine Wolke an den isolierten Elektronen, die den Kobaltatomen zu dem magnetischen Momente verhelfen. Denn auch Leitungselektronen besitzen jeweils einen Spin und daher ein magnetisches Moment. Die machen sich nach außen zwar nicht bemerkbar, weil sie keine entsprechende Ordnung bilden, werden aber von den magnetischen Momenten der ungepaarten Kobalt-Elektronen angezogen.

Was passiert, wenn sich die beiden Atome allmählich näher kommen und vom Kondo-Zustand in eine antiferromagnetischen Ordnung wechseln, sehen die Stuttgarter Physiker jetzt ein bisschen klarer. “Das ist aber nicht ganz, was wir erwartet und ein bisschen auch erhofft hatten“, sagt Peter Wahl. Wenn sich die Elektronen-Wolken des Kondo-Zustands auflösen und sich die antiferromagnetische Ordnung bildet, sollte das System nämlich einen Quantenphasenübergang durchlaufen, den die Forscher gerne im Detail, nämlich an zwei Atomen studiert hätten.

Ein Atom mit Kondo-Wolke als Fühler für lokale Magnetfelder

Von einem Phasenübergang sprechen Physiker etwa, wenn Wasser zu Dampf verkocht oder sich in einem Metall eine magnetische Ordnung ausbildet. Ein Quantenphasenübergang findet am quantenkritischen Punkt statt. Der zeichnet sich vor allem durch eine Temperatur nahe des absoluten Nullpunkts aus. Aber auch alle anderen physikalischen Bedingungen wie die magnetische Kopplung, die im Fall des Stuttgarter Experiments durch den Atomabstand bestimmt wird, oder das äußere Magnetfeld müssen passen. Als Triebkraft für einen Zustandswechsel wirkt dann nicht mehr Wärme wie beim Wasserkochen. Vielmehr stoßen Quantenfluktuationen den Phasenübergang an. „Berechnungen sagen interessante physikalische Effekte voraus, wenn man sich dem quantenkritischen Punkt annähert“, sagt Klaus Kern.

Es würde sich also lohnen, mit zwei Atomen zum quantenkritischen Punkt vorzudringen, indem man den Abstand zwischen ihnen ändert. „Mit den beiden Kobaltatomen haben wir das nicht geschafft“, sagt Peter Wahl. Statt Zeugen eines Quantenphasenübergangs zu werden, beobachteten sie um den quantenkritischen einen Mischzustand. Dabei macht sich die magnetische Ordnung schon bemerkbar, wenn sich die Kondo-Wolken noch nicht ganz aufgelöst haben. Und das auch schon bei größeren Abständen, als Rechnungen prognostiziert hatten. „Offenbar wechselwirken die Elektronen der RTM-Spitze und der Goldoberfläche sehr stark und beeinflussen die Interaktion der beiden Kobaltatome“, so Forschungsgruppenleiter Wahl.

Doch immerhin haben die Forscher ihr wichtigstes Ziel erreicht: „Unser Experiment hat gezeigt, dass wir damit prinzipiell zum quantenkritischen Punkt gelangen können“, sagt Peter Wahl. Und er hat auch schon eine Idee, wie das praktisch gelingen könnte – mit Atomen von Selten-Erden-Metallen. Um diese Atome bilden sich Kondo-Wolken erst bei tieferen Temperaturen als in Kobaltatomen. Das könnte verhindern, dass sich der Kondo-Zustand mit der magnetischen Ordnung vermischt.

Mit dem Auftritt zweier Atome bringen die Physiker nicht nur ein Lehrstück über die magnetische Ordnung oder exotischere Quantenphänomene auf die Bühne, sie versprechen sich davon auch einen praktischen Nutzen – zumindest im Labor. Ein Atom mit Kondo-Wolke, das an einer RTM-Spitze haftet, kann nämlich den magnetischen Zustand einer Probe mit der atomaren Auflösung eines Rastertunnelmikroskops abbilden. „Damit wollen wir in unseren nächsten Versuchen, sehr detailliert die magnetischen Eigenschaften von Atomen, Molekülen und Festkörpern untersuchen“, sagt Klaus Kern. So wird die Vorführung des Kondo-Effekts am Ende sogar zu einem Solostück.

PH

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