Nanotechnologie: Molekulares Lego mit verstecktem Bauplan

Ein passend gewähltes Peptid bildet auf einer Oberfläche in einem selbstorganisierten Prozess eine Bienenwabenstruktur

17. Februar 2016

In der Natur finden sich Lego-Steine der besonderen Art: biologische Moleküle, genauer gesagt Peptide, aus denen sich vielfältige komplexe Strukturen zusammensetzen lassen. Anders als die Spielsteine aus dem Kinderzimmer sind die molekularen Legosteine jedoch biegsam, lassen sich über verschiedene Steckmechanismen verknüpfen und bauen sich unter den richtigen Bedingungen selbst zusammen – nach einem Bauplan, der in jedem einzelnen Stein steckt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung haben dem Lego-Spiel der Nanotechnologie jetzt erstmals im Labor die Bedingungen geboten, unter denen es auf einer Oberfläche selbstständig eine Struktur in Form einer Bienenwabe bildet. Mit einem Rastertunnelmikroskop bildeten die Forscher das perfekt geordnete Netzwerk ab und machten dabei mehr Details sichtbar, als es bislang möglich war. Da Peptide in zahllosen Varianten vorkommen, lassen sich aus ihnen auch sehr unterschiedliche Strukturen erzeugen, die etwa als Katalysatoren für chemische Reaktionen interessant wären.

Molekulares Netz mit umgepolten Peptiden: Jeweils zwei nebeneinander liegende Peptide von Angiotensin II bilden die Balken dieser Wabenstruktur. Der Balken ist etwa so lang wie eines der Peptide, nämlich zwei Nanometer. Dabei wenden die Kettenmoleküle ihre unpolaren, wasserabstoßenden Teile nach außen und kehren die polaren, wasseranziehenden Teile nach innen. In der wässrigen Umgebung einer Zelle befinden sich die polaren Teile von Proteinen dagegen vermehrt auf der Oberfläche der Biomoleküle.

Moleküle sind die Bausteine allen Lebens, genauso wie Legos die Bausteine eines Spielzeuguniversums sind. Manche Forscher sprechen daher bei komplexen, aus vielen Molekülen zusammengesetzten Strukturen auch von molekularer Architektur und vergleichen die Gebilde der Nanotechnik mit Bauwerken aus Lego. Die Analogie geht sogar noch weiter: Wie die Noppen auf einem Legostein in die Löcher an der Unterseite eines anderen greifen, binden biologische Moleküle aufgrund von Kräften zwischen ihren Atomen aneinander. Bei Molekülen wie auch Legosteinen lassen sich diese Verbindungen zudem relativ leicht wieder lösen, während die einzelnen Steine beziehungsweise Moleküle nur mit Gewalt zu zerbrechen sind.

Hier endet die Analogie zwischen den Molekül-Strukturen der Nanotechnologie und dem Spielzeug jedoch. Denn im Gegensatz zu den starren Legosteinen sind Moleküle biegsam. Und auch wenn es sicher einige 100 verschiedene Legosteine gibt, ist die Zahl der unterschiedlichen Moleküle, die in der Natur vorkommen, viel größer. Zudem kennt die Natur unterschiedliche Steckmechanismen: Ganz unterschiedliche Atome können die Kräfte zwischen den Molekülen ausüben, und auch die Kräfte können unterschiedlicher Natur sein. Schließlich braucht das molekulare Lego keine Kinderhand, die aus einzelnen Steinen ein Bauwerk errichtet. Die Moleküle finden von selbst zusammen. Bei diesem selbstorganisierten Prozess folgen sie einem Konstruktionsplan, der sich aus der Anordnung der Anknüpfungspunkte ergibt.

Zusammensetzung und Länge der Peptide bestimmen die Struktur

Wissenschaftler um Klaus Kern, Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, nutzen die Eigenschaften von biologischen Molekülen nun aus, um selbstorganisierte Strukturen auf Oberflächen zu erzeugen. Die Forscher deponierten kurze Peptide, genauer gesagt Angiotensin I und II auf einer Goldoberfläche. Peptide sind Kettenmoleküle aus Aminosäuren, von denen es alleine 20 natürliche Varianten, also Kettenglieder, gibt. Die Zusammensetzung und Reihenfolge der Aminosäuren im Peptid bestimmen dabei, welche Struktur auf der Oberfläche entsteht. Ganz ähnlich wie die Funktionen von Proteinen, den molekularen Maschinen der Natur, davon abhängen, welche Aminosäuren sich in ihnen in welcher Abfolge aneinanderreihen. Aus Angiotensin I, das aus zehn Aminosäuren zusammengesetzt ist, bilden sich in den Experimenten der Stuttgarter Forscher zwei verschiedene, eher ungeordnete, nicht sehr stabile Netze. Das um zwei Aminosäuren kürzere Angiotensin II formt dagegen eine völlig regelmäßige Wabenstruktur, deren Wände jeweils aus zwei parallel nebeneinander liegenden Peptiden bestehen.

„Das Bauprinzip der Natur, die Sequenzkontrolle, funktioniert also auch auf nicht natürlichen Oberflächen“, sagt Stephan Rauschenbach, der am Stuttgarter Max-Planck-Institut eine Forschungsgruppe leitet. Nach diesem Prinzip Materialien zu beschichten, könnte in der Nanotechnologie interessant sein, um Oberflächen mit besonderen Fähigkeiten auszustatten. So hält die Natur in Form der Enzyme, bei denen es sich meist ebenfalls um Proteine handelt, zahllose Katalysatoren bereit. Deren Eigenschaft, chemische Reaktionen zu beschleunigen, könnte sich auf Oberfläche übertragen lassen. Aber auch Beschichtungen mit ganz anderen Funktionen, etwa optische Aktivität oder elektrisches Schaltverhalten, seien denkbar, sagt Stephan Rauschenbach.

Mit einer Hochspannung lassen sich Peptide verdampfen

Um die Peptide absolut sauber auf die Oberfläche zu bringen, benutzen die Wissenschaftlicher eine Technik, die Elektrospray Ionenstrahldeposition genannt wird. Obwohl sich die neutralen Moleküle eigentlich nicht verdampfen lassen, können die Forscher daraus ein Gas erzeugen, indem sie eine Hochspannung von einigen tausend Volt an die Lösung angelegen. Dabei laden sich die Peptide elektrisch auf und stoßen sich gegenseitig so stark ab, dass sie statt des gelösten den gasförmigen Zustand bevorzugen, in dem sie mehr Abstand voneinander halten können. Wegen ihrer elektrischen Ladung können die gasförmigen Peptide nun durch elektrische Felder in eine Kammer mit einem extrem guten Vakuum gesteuert werden. Dort scheiden sie sich ohne Verunreinigungen auf der Goldoberfläche ab, wenn auch zunächst wahllos verteilt. Dank ihrer thermischen Bewegung finden die Moleküle aber an den passenden Bindungsstellen zueinander.

In so sauberer Form erhalten Forscher solche Strukturen aus Peptiden mit keiner anderen Methode. Den Tropfen einer Peptidlösung auf der Oberfläche einzutrocknen, erzeugt zwar eine Beschichtung, verursacht aber enorme Verunreinigungen. Und verdampfen lassen sich die Peptide nicht, weil sie dabei zerstört werden. „Das ist wie bei einem Spiegelei.“, sagt Stephan Rauschenbach. “Egal wie heiß Sie es machen, es wird nie verdampfen, sondern nur verbrennen.“

Hochaufgelöste Bilder ermöglichen präzise Modelle der Strukturbildung

Das Peptid-Netzwerk ohne jegliche Verunreinigungen auf die Oberfläche zu bringen, war für die Stuttgarter Forscher vor allem wichtig, weil sie die Struktur in einem Rastertunnelmikroskop nur so fast mit atomarer Auflösung abbilden konnten. Zu diesem Zweck kühlten sie die Probe auf minus 230 Grad Celsius ab und froren auf diese Weise die Bewegung der Moleküle ein. Anhand der hochaufgelösten Bilder konnten die Forscher nachvollziehen, warum sich welche Struktur aus dem Bauplan ergibt, den das jeweilige Peptid mitbringt. Denn die detaillierten Aufnahmen ermöglichten es Theoretikern, präzise Modelle der selbstorganisierten Strukturbildung zu erstellen.

„Da diese Peptide aus großen, sperrigen Aminosäuren bestehen, sind sie eher steif, ähnlich wie Legobaustein“, erklärt Sabine Abb, die an der Studie maßgeblich beteiligt war. Ferner verteilen sich polare und nicht polare Aminosäuren gleichmäßig in den Peptiden. Aus dieser Verteilung ergibt sich der Bauplan. Denn die polaren Aminosäuren gehen starke Bindungen zu den Nachbarpeptiden ein. Die nichtpolaren Aminosäuren verhalten sich dagegen eher passiv. Dieses Wechselspiel zwischen Interaktion und Passivität ist die wesentliche Voraussetzung, damit sich die Peptide von selbst zu definierten Strukturen anordnen. Zu viele polare Aminosäuren, und die Peptide kleben zufällig zusammen, sodass kein Netzwerk entsteht. Zu wenige, und die Strukturen werden unstabil.

„Nun, da wir besser verstehen, wie wir das Werkzeug der Natur, die Selbstorganisation, auf Oberflächen einsetzen können, müssen wir nur noch die richtigen Sequenzen für Strukturen finden, die wir herstellen wollen.“ stellt Stephan Rauschenbach fest. „Das wird aber nicht leicht, die Natur hat schließlich Milliarden von Jahren gebraucht, um die Enzyme mit ihren speziellen Funktionen hervorzubringen.“

SR/PH

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