Programmierbare DNA-Moiré-Supergitter: Neuer Gestaltungsspielraum auf der Nanoskala

17. Juli 2025

Forschende erschaffen neue Moiré-Materialien auf der Nanometerskala mit Hilfe fortgeschrittener DNA-Nanotechnologie. DNA-Moiré-Supergitter entstehen, wenn zwei periodische DNA-Gitter mit einem geringen Drehwinkel oder Versatz übereinandergelegt werden. Dadurch bildet sich ein neues, großflächiges Interferenzmuster mit vollständig veränderten physikalischen Eigenschaften. Ein neuer Ansatz von Forschenden der Universität Stuttgart und des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung erleichtert nicht nur die komplexe Konstruktion dieser Supergitter. Es eröffnet auch völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten auf der Nanoskala. Die Fachzeitschrift Nature Nanotechnology hat die dazugehörige Studie publiziert.

Moiré-Muster sind zu einem zentralen Thema der modernen Festkörper- und Photonikforschung aufgestiegen. Die Herstellung solcher Strukturen erfordert jedoch meist aufwändige und fehleranfällige Arbeitsschritte. So müssen etwa die vorgefertigten elementaren Schichten exakt ausgerichtet und unter streng kontrollierten Bedingungen transferiert werden. „Unser Ansatz umgeht die traditionellen Einschränkungen bei der Herstellung von Moiré-Supergittern“, sagt Professor Laura Na Liu, Max-Planck-Fellow und  Leiterin des 2. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart.

Neues Paradigma zur Herstellung von Moiré-Gittern

„Herkömmliche Methoden zur Herstellung von DNA-Moiré-Supergittern basieren auf mechanischem Stapeln und Drehen von zweidimensionalen Materialien. Wir dagegen nutzen einen „Bottom-up“-Assemblierungsprozess“, erläutert  Laura Na Liu. Als Assemblierungsprozess bezeichnet man das Verfahren, mit dem einzelne DNA-Stränge zu größeren, geordneten Strukturen zusammengefügt werden. Es beruht auf Selbstorganisation: Die DNA-Stränge fügen sich ohne äußeres Eingreifen, allein durch molekulare Wechselwirkungen zusammen. Diese Besonderheit macht sich das Stuttgarter Forschungsteam zunutze. „Wir kodieren die geometrischen Parameter für das Supergitter wie Drehwinkel, Abstand der Untergitter und Gittersymmetrie direkt in das molekulare Design in die Startstruktur – den sogenannten Nukleationskeim. Dann lassen wir die gesamte Architektur mit Nanometer-Präzision selbst assemblieren.“ Der Nukleationskeim fungiert somit als struktureller Bauplan, der das hierarchische Wachstum von 2D-DNA-Gittern zu präzise gedrehten Doppel- oder Dreifachschichten steuert – und das alles in einem einzigen Syntheseschritt.

Neuland: Moiré-Strukturen auf der intermediären Nanometerskala

Moiré-Supergitter wurden auf atomarer (Ångström-) und photonischer (Submikrometer-) Größenskala bereits vielfach erforscht. Die intermediäre Nanometerskala, in der molekulare Programmierbarkeit und Materialfunktionalität zusammenkommen, ist dagegen kaum erschlossen. Mit ihrer aktuellen Studie schließen die Stuttgarter Forschenden diese Lücke. Das Team kombiniert dazu zwei leistungsstarke DNA-Nanotechniken: DNA-Origami und Single-Stranded Tile (SST)-Assemblierung.

Mit ihrer hybriden Strategie konstruierten die Forschenden Mikrometer-große Supergitter mit Einheitszellen von nur 2,2 Nanometern, die regelbare Drehwinkel und verschiedene Gittersymmetrien aufweisen, wie quadratische, Kagome- und Honigwabenmuster. Das Team stellt zudem Gradienten-Moiré-Supergitter vor, bei denen sich der Drehwinkel und somit die Moiré-Periodizität kontinuierlich über die Struktur hinweg ändert. „Diese Supergittter zeigen klar definierte Moiré-Muster unter dem Transmissions-Elektronenmikroskop, wobei die beobachteten Drehwinkel eng mit denen übereinstimmen, die im DNA-Origami-Nukleationskeim kodiert sind,“ bemerkt Co-Autor Professor Peter A. van Aken vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung.

Zudem etabliert die Studie einen neuen Wachstumsprozess für die Moiré-Supergitter. Dieser wird durch räumlich definierte sogenannte „Capture Strands“ auf dem DNA-Nukleationskeim initiiert. Sie fungieren als molekulare „Haken“, um SSTs präzise zu binden und deren Ausrichtung zu steuern. Das ermöglicht die kontrollierte Bildung verdrehter Doppel- oder Dreifachschichten mit exakt ausgerichteten SST-Untergittern.

Weitreichende Bedeutung für die Molekulartechnik, Nanophotonik, Spintronik und Materialwissenschaft

Ihre hohe räumliche Auflösung, ihre Adressierbarkeit und programmierbare Symmetrie verleihen den neuartigen Moiré-Supergittern enormes Potential für vielfältige Anwendungsbereiche in Forschung und Technik. Sie stellen beispielsweise ideale Gerüste für nanoskalige Komponenten dar – etwa für fluoreszierende Moleküle, metallische Nanopartikel oder Halbleiter in maßgeschneiderten 2D- und 3D-Architekturen. Indem sie chemisch zu starren Gerüsten umgewandelt werden, könnten die neuartigen Gitter als phononische Kristalle oder mechanische Metamaterialien mit einstellbaren Schwingungseigenschaften dienen. Das räumliche Gradienten-Design eröffnet zudem neue Möglichkeiten in der Transformationsoptik und für gradientenindexbasierte photonische Bauelemente, bei denen die Moiré-Periodizität Licht oder Schall entlang kontrollierter Bahnen lenken könnte.

Eine besonders vielversprechende Anwendung liegt im spinselektiven Elektronentransport. DNA wirkt bekannterweise als Spinfilter. Die untersuchten und wohlgeordneten Supergitter mit definierten Moiré-Symmetrien könnten als Plattform dienen, um topologische Spintransportphänomene in einem konfigurierbaren Umfeld zu untersuchen.

„Dabei geht es nicht darum, Quantenmaterialien nachzuahmen, sondern darum, den Gestaltungsraum zu erweitern,“ sagt Laura Na Liu. „Das Ziel ist es, strukturierte Materie von Grund auf neu zu schaffen und dabei die geometrische Kontrolle direkt in die Moleküle einzubetten.“

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